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Die Architekturkopien und -zitate der Markgräfin Augusta Sibylla von Baden-Baden

Iris Haist

 

Franziska Sibylla Augusta von Sachsen-Lauenburg, geboren 1675 in Ratzeburg, war eine der außergewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit. Sie setzte nach dem Tod ihres Ehemannes Ludwig Wilhelm von Baden, genannt Türkenlouis, die Regierungsarbeit für ihren ältesten Sohn fort. Von 1707 bis 1727 war sie die Markgräfin von Baden-Baden (der Region Baden mit der Hauptstadt Baden) und setzte sich besonders für neue Hygienemaßnahmen und die Bildung von Mädchen und Frauen durch die von ihr aus Böhmen eingeführten Piaristenmönche.

 

Street Art, Häuserfassade in Rastatt mit dem Porträt von Augusta Sibylla

 

Eine Besonderheit und ein Alleinstellungsmerkmal des barocken Rastatt waren Augusta Sibyllas Kopien religiöser Kultstätten innerhalb dieser Residenzstadt. Ohne weitere Nachforschungen angestellt zu haben, sind alleine vier bzw. fünf dieser Kopien bekannt – die mit der Zeit ihrer Entstehung immer extremer wurden. Rastatt ist wohl die einzige Stadt, in der sich neben Kopien der sagenumwobenen und leider verlorenen Kapelle von Einsiedeln und einer Loretokapelle zudem eine Kopie der Bethlehemer Geburtsgrotte und der Heiligen Stiege befanden.

 

Schon der Bau der Rastatter Barockresidenz war ein Architekturzitat nach dem Schloss von Ludwig Wilhelms Taufpaten König Ludwig XIV. von Frankreich: ein kleines Versailles, in der Achse ausgerichtet nach seinem Vorbild – aber dies war noch ein Projekt ihres Mannes und die Religion spielte noch keine Rolle. Spätestens nach seinem Tod wurde Augusta Sibyllas Glaube ein wichtiger Teil ihres Tagesablaufs und ihres Selbstverständnisses.

 

Fassade und Einfahrt in den Ehrenhof der Rastatter Barockresidenz

 

Doch der Gedanke an Architekturkopien kam schon zuvor. Der älteste Sohn des Markgrafenpaares, Ludwig Georg Simpert (1702–1761), war in der Entwicklung etwas hinterher und auch mit drei Jahren sprach er noch kein Wort. Mit dem Wunsch, ihrem Sohn zu helfen, pilgerte sie mit ihm zur Kirche Maria Einsiedeln in der Schweiz, wo ihm die wundertätige „Schwarze Madonna“ die Zunge lösen sollte. Der Legende nach begann der Kleine gerade während dieser Reise zu sprechen, was als Wunder gedeutet wurde. Als Dank versprach Augusta Sibylla den Bau einer Einsiedelner Kapelle in ihrer Heimat.

 

Zwei Jahre nach diesem Versprechen erlag Ludwig Wilhelm jedoch seinen Kriegsverletzungen und ließ das Regierungsgebiet schutzlos zurück, das kurz darauf von den Franzosen besetzt wurde. Auf Rat des Kaisers Leopold von Habsburgs hin begab sie sich in ein mehrjähriges Exil in ihrer Heimat Schlackenwerth in Böhmen (heute Ostrov). Im Schlosspark dieser Stadt entstand 1709 eine erste Kopie dieser Kapelle. 1714 fand der Spanische Erbfolgekrieg mit dem Schluss des Rastatter Friedens ein Ende, die Franzosen gaben ihre Besetzung auf und die Markgräfin konnte mit ihren Kindern zurückkommen. 

 

Fassade der Einsiedelner Kapelle in Rastatt

 

Ein Jahr darauf ließ sie ihren Hofbildhauer Johann Michael Ludwig Rohrer eine weitere Einsiedelner Kapelle bauen, ebenfalls mit einer Nachbildung des bekannten Gnadenbildes – diesmal in Rastatt. Als Grund für diesen Bau führt die regionale Geschichtsschreibung stets die Dankbarkeit für den Frieden an. Es würde der Mühe sicher lohnen, in den Archiven in Rastatt und Karlsruhe nach Hinweisen zu suchen, die eine komplexere Deutung zuließen: z.B. als Dankbarkeit für eine zweite Errettung Ludwig Georgs und damit den Erhalt seiner zukünftigen Machtstellung oder rein religiös-sentimentale Gründe, die es für sie ein Anliegen machte, die kraftspendende Kapelle und das wundertätige Madonnenbild in ihrer Nähe zu haben.

 

Die Kapellen in Ostrov und Rastatt ähneln sich, abgesehen von der Farbgebung, sehr – sowohl in der Innen- als auch in der Fassadengestaltung. Der Hauptunterschied liegt in der Installation einer Nachbildung der Bethlehemer Geburtsgrotte in der Krypta der Rastatter Kapelle: etwa ein Hinweis auf die Wiederauferstehung der Macht der Markgrafen von Baden-Baden?

 

Seite und Rückseite der Einsiedelner Kapelle in Rastatt

 

1721 tat die Fürstin es zahlreichen ihrer Zeitgenossen in ganz Europa gleich und erbaute eine Loreto-Kapelle am Rande des Schlossparks von Rastatt – Anreiz dafür mag der Siegeszug der Rekatholisierung nach dem Sieg der Habsburger in der Schlacht am Weißen Berg 1720 und Italienreise in diesen Jahren gewesen sein. Das Gebäude ist leider den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges zum Opfer gefallen, doch lassen sich sicher noch Baupläne und Vorkriegsfotografien finden, die über die ehemalige Architektur und das Kultbild Aufschluss geben. Es wäre interessant zu wissen, ob auch diese Kapelle ein „Extra“ hatte, wie schon die zuvor entstandene Einsiedelner Kapelle.

 

Den Höhepunkt ihrer religiösen Bauten bildet die Schlosskirche. Für die zahlreichen Reliquien, die Augusta Sibylla von ihrer Romreise mitgebracht hatte, musste 1720–24 ein adäquater Kultort geschaffen werden. Neben dem ersten Eindruck beim Eintreten, der den Gläubigen an Berninis Kathedra Petri im Petersdom erinnert, nimmt man schnell auch die Nische unter dem Altar wahr, die zunächst an das Grab Petri erinnert. Tatsächlich geht die Symbolik hier noch etwas weiter, denn gemeint ist nicht sein Grab, sondern dasjenige Jesu Christi – und das in der Kirche, in der die Markgräfin auf eigenen Wunsch selbst begraben wurde – unter einer Grabplatte mit der Aufschrift: Bettet für die grose Sünderin Augusta“.

 

Pagode am Wasserturm in Rastatt

 

Die Kapelle konnte direkt durch eine Seitentür von Augusta Sibyllas Privatappartement im Schloss über eine Treppe erreicht werden – über eine Nachbildung der Heiligen Stiege in Rom. Die Treppe, die im Palast des Pontius Pilatus von Jesus betreten worden sein soll, wurde 326 von Helena, der Mutter Konstantins des Großen, von Jerusalem nach Rom gebracht, wo Augusta Sibylla sie auf Knien hinaufsteigen und den damit verbundenen Sündenerlass erhalten konnte. Damit hatte sie Orte der Geburt, des Leidens, des Todes und indirekt auch der Auferstehung Jesu in die Residenzstadt in Baden geholt und sich damit als streng katholische Bauherrin gegenüber ihren protestantischen Verwandten der Linie Baden-Durlach bei Karlsruhe positioniert.

 

Deckenfresko der Rastatter Schlosskirche

 

Während ihres Jerusalemaufenthalts fand Helena zudem, glaubt man der bekanntesten mit ihr verbundenen Legende, Teile des Kreuzes, an dem Jesus starb und damit auch die Stelle des Heiligen Grabes, an der Konstantin die 335 geweihte Grabeskirche errichten ließ. Dieser errichtete in diesem Zuge zudem zusammen mit seiner Mutter auch die Geburtskirche in Bethlehem. Die offensichtliche Identifizierung Augusta Sibyllas mit Helena, Mutter eines großen Herrschers und der Verbreitung und Stärkung des Christentums kulminiert im Deckenfresko der Schlosskirche in Rastatt, wo die Markgräfin kniend vor der Szene mit der Auffindung des Heiligen Kreuzes prominent ins Bild gesetzt ist.

 

Augusta Sibylla erschuf sich ihre eigene religiöse Welt und ihre Wahrheit mittels der Architektur und den Motiven, die diese zierten

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