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Promotion? Eine ganz persönliche Hinterfragung

 

von Dr. Iris Haist

 

Bringt der Doktortitel überhaupt irgendetwas, oder habe ich dadurch nur Zeit verloren? Während der Dissertation stellt man sich diese oder ähnliche Fragen immer wieder. Das ist auch ein Grund, warum letztendlich nicht alle den Weg bis zum Ende weitergehen. Hier habe ich eine sehr persönliche Hinterfragung formuliert: Dr. Who? Dr. Haist…

 

 

 

Dr. Ja, Dr. Nein?

 

Auf den Volontariatstreffen, auf denen viele meiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter sehr viel jünger waren als ich, weil sie auf den Schritt der Promotion verzichtet hatten, diskutierten wir immer wieder darüber, ob man den Titel nun „braucht“ oder nicht, um als Kunsthistoriker voranzukommen. Die Meinungen gingen auseinander.

 

Und akut bin ich mir sicher, dass ich ohne diese zwei Buchstaben vor dem Namen schneller einen Job finden könnte. Immerhin wäre ich dann ja entweder noch sechs Jahre jünger oder ich hätte sechs Jahre mehr Erfahrung. Ja, richtig gelesen: Weil ich erst einmal drei Jahre lang nebenher als Schlossführerin und auf zwei Ausgrabungen arbeitete, um mich zu finanzieren, waren ganze sechs Jahre ins Land gegangen, bis ich die Arbeit endlich eingereicht habe. Ganz davon zu schweigen, dass die Publikation erst noch einmal zwei Jahre darauf erfolgen sollte. 

 

 

Risiko – oder strategische Planung

 

Nach den Erfahrungen, die ich bisher sammeln konnte, würde ich zu diesem Thema ganz klar sagen: vielleicht. Es gibt vermutlich nicht den einen richtigen Weg, vor allem in jüngster Zeit scheint nichts mehr wirklich festgelegt zu sein. Fakt ist jedoch: Für eine Karriere im Bereich der zeitgenössischen Kunst oder auf dem Kunstmarkt ist die Promotion nicht unbedingt nötig. Wichtiger ist ein gut ausgebautes Netzwerk an Kontakten von Künstlern, Institutionen und Geldgebern – und natürlich das richtige Gespür für Trends.

 

Im Bereich der älteren Kunst oder an der Universität ist die klassische Aus- und Weiterbildung dann doch noch immer von Vorteil. Immerhin eignet man sich während der Promotionsjahre inhaltliche Kenntnisse nicht nur über das oft sehr eng gefasste Sujet selbst, sondern auch über Geschichte, Kultur, Märchen und Legenden des bearbeiteten Feldes mit Kontexten an, interagiert sehr intensiv mit anderen Forschern und zeigt zudem Durchhaltevermögen und Leidenschaft für die Kunst.

 

Es ist demnach hilfreich, sich so früh wie möglich bewusst zu machen, wohin die berufliche Reise gehen soll, um für sich selbst den richtigen Weg zu finden. Das klingt reflektiert – ist es mittlerweile auch. Ich bin da aber ehrlich gesagt eher hineingestolpert …

 

 

 

Uniabschluss – was nun?

 

Direkt nach Abschluss meines Kunstgeschichtsstudiums arbeitete ich als frisch gebackene „Magistra Artium“ erst einmal an einem Bauforschungsprojekt im Kloster Maulbronn: Dokumentation von Steinmetzzeichen. Das war spannend und machte Spaß. Nach den unzähligen Jahren, die ich in der Schule und an der Uni mit dem Wissenserwerb verbracht hatte, durfte ich nun endlich praktisch Hand anlegen. Auf die Frage, was nach Ablauf dieses Projekts kommen sollte, hatte ich indes noch keine Antwort.

 

 

Volontariat oder Promotion?

 

Da mir spätestens nach meinem zweiten Museumspraktikum klar war, dass ich genau dort auch hingehöre, schaute ich mich also nach dem klassischen nächsten Schritt um, den es in der Ausbildung zur wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Museum zu gehen galt: nach einem Volontariatsplatz. Immer wieder stieß ich in den Ausschreibungen auf den Satz: Promotion erwünscht. Mir schien es so, als wäre dieser akademische Titel auch die Grundvoraussetzung dafür, ein wissenschaftliches Volontariat an einem renommierten Museum überhaupt zu bekommen.

 

Also bewarb ich mich parallel auf zehn Volontariatsplätze und fragte bei drei Professoren an, ob sie mich als Doktorandin mit einem Thema zur Barockskulptur annehmen würden. Aus den Museen und Schlössern kamen nur Absagen, die Tür zur Promotion wurde mir jedoch weit geöffnet. Ich folgte also der „Schicksalsentscheidung“ und ging den Weg zurück an die Uni.

 

 

Herausforderung: Freiheit

 

Die erste Hürde, die genommen werden musste, ist das Finden eines geeigneten Themas. Denn aus allen möglichen Fragestellungen ganz ohne Beschränkungen oder Hilfestellungen die geeignete herauszusuchen, mit der man sich ab diesem Zeitpunkt mehrere Jahre seines Lebens beschäftigen soll, ist nicht gerade einfach. Die Tipps, die ich von Professoren und anderen Wissenschaftlern bekam waren sicher alle richtig – aber eben nicht auf mich zugeschnitten. Insgesamt habe ich das genaue Thema drei Mal geändert, bis ich endlich, gegen jeden guten Rat, eine Monografie über den Barockbildhauer Pierto Bracci begonnen habe. Ein von mir sehr verehrter, mittlerweile leider verstorbener Kollege sagte dazu: „Eine Monografie ist zu viel Arbeit, dauert zu lange und ist undankbar … Aber es ist die Königsdisziplin.“

 

Während der nächsten Jahre war die Freiheit sowohl ein Privileg, als auch eine Herausforderung. Niemand stand hinter mir und hat eine Deadline verkündet, nicht einmal für einzelne Kapitel. Man musste jeden Tag erneut den schläfrigen Schweinehund überwinden und nach den Führungen noch Bücher lesen, Notizen machen, Querverweise notieren. Ich musste lernen, müde und erschöpft komplexe Inhalte zu erfassen und in Texten festzuhalten. Um das zu üben, muss man nicht zwingend eine Dissertation schreiben, aber ein langfristiges Projekt, das man immer wieder bearbeiten und – idealer Weise – auch tatsächlich beendet, hilft sicher dabei.

 

 

 

Nebenschauplätze

 

Um eine umfangreiche Arbeit über Leben und Werk eines Künstlers des 18. Jahrhunderts zu schreiben und darin auch neue Erkenntnisse festzuhalten, waren zahlreiche Italienaufenthalte notwendig, von welchen der längste zweieinhalb Jahre dauerte. Für die Recherche nach Auftraggebern, Verträgen, Testamenten oder sonstigen Unterlagen musste (und wollte) ich verschiedene alte Bibliotheken und vor allem Archive konsultieren.

 

Das brachte mich unter anderem ins Archivio della Fabbrica di San Pietro im Petersdom und ins Vatikanische Geheimarchiv – spannend, aber zeitintensiv. Ich übte das transkribieren und übersetzen von italienischen und lateinischen Dokumenten, das Weitersuchen, nachdem man auf Spuren oder Verweise gestoßen war und schließlich das Beenden der Recherchen, obwohl es eigentlich nie ein Ende geben kann. Dass ich zudem in der Biblioteca Angelica arbeitete, durch die Robert Langdon im Film Sakrileg auf seinem Weg zum Vatikanische Geheimarchiv hindurchläuft, machte mich nicht klüger – aber cool ist es trotzdem …

 

 

Selbstzweifel adé

 

Die Promotion hat, wie andere markante Punkte meines Lebens, zu meiner heutigen Persönlichkeit beigetragen. Sie hat mich stärker und  unabhängiger gemacht, als ich es zuvor war. Ich habe viel gelernt und erlebt.

 

Tatsächlich hadern wir alle von Zeit zu Zeit mit unserem Weg, den wir eingeschlagen haben. Bei mir ist es auch immer wieder die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Promotion, die mich so viel Zeit und Kraft gekostet hat. Doch das Wichtigste ist es wohl für uns alle, nach vorne zu schauen, zu sehen, welchen Mehrwert oder welche Erkenntnisse wir aus unserem bisherigen Handeln ziehen können und den für uns selbst besten Weg zu gehen.

 

 

Und wenn sie nicht gestorben sind ...

 

Mein Fazit: Schreibt eine Dissertation, wenn ihr es wirklich wollt. Für euch, für eure Bildung, für die Erfahrung, nicht für irgendjemand anderen, seien es die Eltern, der Arbeitgeber oder das soziale Umfeld. Letztlich lernen wir – auch wenn das jetzt abgedroschen klingt, nicht für die Schule oder den Beruf, sondern tatsächlich fürs Leben.