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"Käppele", Kreuzweg und Kanonenkugel

Iris Haist

 

Ein wichtiger Name für die Architekturgeschichte des fränkischen Barock ist Ludwig Herrmann. Nie gehört? Schade, denn ohne ihn gäbe es die Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung auf dem Nikolausberg, die von den Würzburgern schon seit mehr als zwei Jahrhunderten liebevoll „Käppele“ genannt wird, heute nicht mehr. Doch dazu später.

 

 

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

 

Diese tatsächlich sehr lohnenswerte Kirche zu erreichen ist leider nicht ganz einfach, wenn man nicht gerade im Hürden- oder Querfeldeinlauf geübt ist. Der schönste Weg ist sicher der über die Treppe des terrassierten Stationsweges – das Auto in der Nikolausstraße geparkt und es kann losgehen!

 

Hier kann der Besucher die Szenen der Leidensgeschichte Christi in 14 kleinen „Stationshäuschen“ als vollplastische Skulpturengruppen richtiggehend erleben – vorausgesetzt er überwindet die 265 Stufen bis hinauf zur Kirche und im Zweifel auch wieder dieselben zurück. Schuld an der kaskadenförmigen Treppe, die sowohl wie ein steinerner, in kunstvollen Bahnen gelenkter Wasserfall daherkommt, als auch den Besucher ins Schwitzen bringt, ist der Baumeister Dominikus Ickelsheimer (18. Jh., Treppe: 1761–69).

 

 

Die Pietà im Weinberg

 

Wie jede Wallfahrtskirche hat auch das „Käppele“ eine Entstehungslegende: Während des Dreißigjährigen Krieges, um 1640, soll der Sohn eines Fischers eine im Main bei Würzburg angeschwemmte Holzskulptur mit Maria und dem vom Kreuz abgenommenen Christus im Weinberg auf dem Nikolausberg aufgestellt haben. Und da der Glaube Berge versetzt – und er alles war, was den Menschen in dieser schweren Zeit blieb – besuchten immer mehr Menschen aus der Umgebung dieses Kultbild.

 

Dass in den Jahren darauf immer wieder von Lichterscheinungen und Heilungen an dieser Stelle berichtet wurde, förderte die Bedeutung und die Bekanntheit der Stelle, denn wer wünscht sich nicht auch hin und wieder ein Wunder? Aus einer kleinen Holzkapelle wurde nach und nach die imposante spätbarocke Kirche. Und wem haben wir diesen Bau in seiner heutigen Ausprägung hauptsächlich zu verdanken? Natürlich niemandem geringeren als Balthasar Neumann (1687–1753).

 

 

Voluten, Laterne und Franken

 

Der erste Gedanke vieler Besucher wird ein deutliches „Hä? Was?“ sein – denn auf den ersten Blick wirkt der große Neumannbau alles andere als übersichtlich. Stuckornamente – typisch barock verschnörkeltes Ohrmuschel- und Bandelwerk – weiß oder vergoldet, mit Silberglanz oder pastellfarben, wohin das Auge reicht!

 

Lässt man den Innenraum länger auf sich wirken, so erschließt sich langsam aber auch die Architektur in ihrer ganzen Klarheit: Als Grundform diente ein griechisches Kreuz, ein Kreuz mit gleichlangen Armen. Wie auch der ursprüngliche Plan für den Petersdom in Rom war das „Käppele“ zur Zeit Neumanns noch ein Zentralbau. Blickt man nach oben, sieht man den Heiligen Geist als Taube in einem Strahlenkranz. Letzterer ist jedoch nicht aufgemalt: Die Laterne ist ringsum von Fenstern durchbrochen, das einfallende Licht ist real und belebt den Innenraum und spielt mit Reflexionen und Schattenwürfen.

 

Im zentralen Deckenfeld ist eine Marienkrönung dargestellt. Das Spannende daran: die Figur mit rotem Umhang und Mauerkrone, die links daneben kniet. Sie ist die weibliche Symbolgestalt Frankens und hört konsequenter Weise auf den Namen Franconia – vergleichbar etwa mit der Bavaria für Bayern – unter ihr das goldene Wappen mit den Spitzen Frankens und dem Würzburger „Rennfähnlein“. Aus ihrem Mund kommt eine weiße Schrift: Sie spricht – wie wir es heute etwa bei Sprechblasen in Comicheften finden.

 

 

Doppelte Rettung

 

Um ein Haar wäre die Kirche zerstört worden – und das gleich zweimal! Das erste Mal ist schon eine Weile her: Im Jahr 1800 wurde Würzburg angegriffen und mit Kanonen beschossen und damit auch die Marienburg und das „Käppele“. Ein junger Offizier sah der Legende nach eine schöne junge Frau, die mit ihrem weißen Schleier Kanonenkugeln auffing und so die Kirche rettete. Um dieser Legende zu gedenken, wurde während einer späteren Restaurierungsphase eine symbolische Kanonenkugel in den Steinrahmen einer der Kirchentüren gemeißelt, wo sie noch heute an diese unglaubliche Geschichte erinnert.

 

Die zweite Rettung ging profaner vonstatten: Am 4. April 1945 verweigerte sich der Gefreite Ludwig Herrmann dem Befehl, die Kirche vom gegenüberliegenden Mainufer aus zu beschießen und bewahrte das „Käppele“ so – wieder einmal – vor seiner völligen Zerstörung.

 

 

Fotos by Iris Haist

 

 

Literaturtipps:

1. K. Hillenbrand: Stufen ins Licht - der Kreuzweg zum Käppele, Würzburg 2009.

2. H. Muth und H. Schnell: Wallfahrtskirche Käppele Würzburg, Kleine Kunstführer, Regensburg 2000.

3. P.-W. Scheele: Das Würzburger Käppele. Wallfahrt, Kreuzweg, Gnadenkapelle, Wallfahrtskirche, Regensburg 2010.

4. W. Jestaedt und J. Foersch: Das Würzburger Käppele, Würzburg 1999.

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