Iris Haist
Schloss Neuschwanstein ist in seiner Märchenhaftigkeit einzigartig in ganz Europa? Nicht ganz. Schon vor dem Herzensprojekt des bayerischen Königs Ludwig II. entstand im 19. Jahrhundert in Portugal ein Schlosskomplex, der noch heute zum Träumen einlädt und den ich als Historismusfan sehr empfehlen kann: Der Palácio Nacional da Pena in Sintra.
Qualen fürs Architektenherz – eklektischer Historismus
Bauherr des eklektischen Bauensembles aus verschiedenen historistischen Stilen war Ferdinand II (1816–85), der sogenannte „Künstlerkönig“ und Königgemahl Marias II. von Portugal (1819–53). Türme, gigantische Tore, Arkaden, Zinnen und eine Zugbrücke begegnen dem Besucher auf Schritt und Tritt. Neogotik, Neorenaissance, Neomanuelinik (Baustil im Portugal des 16. Jahrhunderts), etc. – Kunstgeschichtestudenten finden hier ein ganzes Kompendium an Baustilkunde umgesetzt.
Wer sich bei den Fotos denkt: Komisch, irgendwie könnte man sich dieses Schloss auch irgendwo in Deutschland vorstellen, etwa im Umkreis von Schloss Hohenzollern bei Hechingen, Schloss Liechtenstein oder Schloss Drachenfels im Rhein-Sieg-Kreis, der hat nicht völlig Unrecht: Ferdinand II. war ursprünglich ein Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha und der von ihm ausgewählte weitgereiste Baumeister, eigentlich Geologe und Geograph, Wilhelm Ludwig von Eschwege (1777–1855), stammte aus Hessen.
Ruinen älterer Zeiten
Doch der Palácio da Pena entstand nicht auf jungfräulicher Erde. Mauren errichteten früh eine wehrhafte Burg auf dem strategisch ideal gelegenen Mons Lunae (Mondberg). Daraufhin wurde dieser Ort von König Johann II. von Portugal (1455–95), auch bekannt als „der vollkommene Fürst“ mit dem Beinamen „der Strenge“, für die Errichtung eines ambitionierten Hieronymiten-Klosters auserkoren. Wie die Klöster im griechischen Meteora waren die Mönche so dem Himmel symbolisch näher und profitierten von der Abgeschiedenheit des Ortes.
Nachdem es drei Jahrhunderte gut überstanden hatte, wurde das Kloster jedoch im 18. Jahrhundert gleich von zwei Katastrophen heimgesucht: Einem Blitzeinschlag und dem großen Erdbeben von 1755, bei dem der Großteil der Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass vor allem die Kapelle des Klosters unversehrt blieb und noch heute einen ungefähren Eindruck von deren einstigem Zauber und Reichtum geben kann. Erst 1834 gaben die Mönche das zerfallene Kloster endgültig auf.
„Ich bin nach Italien, Sizilien, Griechenland und Ägypten gereist, aber ich habe niemals irgendetwas gesehen, was Pena gleicht. Dies ist der wahre Garten Klingsors - und hier, oben darüber, ist die Burg des Heiligen Grals“
(Richard Strauß)
Das heutige Schloss bietet demnach nicht nur Bausubstanz aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch einige wenige Einblicke in frühere Epochen. Diese Tatsache trägt zusammen etwa mit dem von Maria II. angelegten Farngarten dazu bei, dass ein regelrechter Hype um diesen Ort entstand. Bald nach Öffnung des Denkmals für Besucher, wurde der Pena-Palast zu einem der größten Touristenattraktionen des Landes und zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Wer über eine romantische Ader verfügt, der fühlt sich hier sofort wie im Märchen, selbst bei größerem Publikumsverkehr. Schon der Komponist Richard Strauß soll bei einem Besuch begeistert gewesen sein und den Palast mit der Burg des heiligen Grals verglichen haben. Am Ende ist es jedoch, wie so vieles, Geschmackssache.
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Stefan Seider (Dienstag, 19 März 2019 05:06)
Sehr schön einem historischen Kleinod einen einordnenden Platz zu geben - „trotz“ der manchmal etwas naserümpfenfen Historiker- und Kunsthistoriker-Zunft, wenn auch nur das Wort über historisierende Bauwerke und Kunstobjekte fällt. Einordnend jenseits der touristischen Hype-Massen mit fundierten Informationen, und damit eine wertige Einordnung in europäische Kunstgeschichte.
Kompliment !
Beate Haist (Montag, 01 April 2019 10:59)
Wow sieht toll aus und mal wieder gut geschrieben ich liebe es.