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Was Krieg macht

 

Die Autorin ist dem Hinweis gefolgt, russische Künstler*innen nicht namentlich zu erwähnen, um sie vor Strafen und Repressalien in ihrer Heimat zu schützen. Darüber ist ein Text entstanden, der generell auf Namen und auf Bilder verzichtet und die Ausstellung allein durch Worte zu vermittelt versucht.

 

 

Pia Littmann

 

Eine Fotogalerie grotesker Fratzen, sie haben lange Nasen, Hörner mit Augen, Lamettazöpfe im strähnig zerzausten Haar, tragen bisweilen strahlend weiße Zahnprothesen. Alles an ihnen ist zu groß, zu klein oder zu viel vorhanden wie diese überall kullernden stumpfen Äuglein. Irgendwie erinnern sie an Hein Blöd, das ulkige Plüschtier aus dem Kinderfernsehen, aber genauso auch an hasserfüllte Kriegermasken.

 

Dröhnender Bass ertönt daneben: Ein Hering krümmt sich zum Elektrosound, bewegt sich wie ein Fisch im Wasser, obwohl er sichtlich tot ist. Dann viermal der Fisch auf dem Bildschirm, und es werden immer mehr: Sie stapeln sich, formen Kreise, Sterne, Sonnen, politische Symbole. Immer schneller überlagern sich die Darbietungen der toten Fische, kaleidoskopartige Muster entstehen. Und zack, Kopf ab, ein Reigen glotzender Heringsköppe mäandert nun die flatternd-brutale Musik herunter, dreht schlingernde Kreise um ein sprechendes Fischgesicht, ein irrer Totentanz, bum, bum-bum.

 

Das kleine Schwarzweißbild gegenüber hält eine Skulptur im heroischen Monumentalstil dagegen: Ein voranschreitender Jüngling, volle Lippen, Blick nach vorne, das Gesicht leicht emporgehoben – das verkörpert  Zuversicht, irgendwie egal was kommt. Aber das war einmal. Denn der Bursche ist in ein Netz aus weißen Linien gehüllt, die jemand aufs Blatt gemalt hat. Das Idol, das er vielleicht einmal war, gleicht nun einer Mischung aus Michelin-Männchen und einer Mumie. Anders die expressiven Gemälde mit schreienden Soldaten, sie sind keine Schatten der Vergangenheit, aber Schatten ihrer selbst, reißen sich das Hemd auf, schlagen verzweifelt die prankengleiche Hand vors Gesicht, das einem Totenschädel gleicht.

 

Direkt daneben hängt eine Szene mit unklaren Fronten: Drei alarmierte Füchse in vorderster Linie, Polizisten im Kampfanzug erscheinen dahinter, worauf sie reagieren, weiß man nicht. Dazwischen ein absurdes Potpourri aus heulenden Wölfen und herumlungernden Affen, einer guckt hellwach aus dem Bild heraus, ein anderer sitzt dem Wachmann im Nacken. Riesige Patronenhülsen gehen wie ein Konfettiregen auf all das hernieder, wen sie wohl treffen sollen?

 

Dazwischen ragt eine Stele mit knappen Instruktionen auf, davor eine „Matte“ fürs Workout mit Bewegungen, die man vom Yoga kennt: Setzen, atmen, konzentrieren, dann kommt – Katze machen, linkes Bein nach hinten, es folgt die „Übung Baum“ (interessanterweise hier im Sitzen), der Ausfallschritt, Schmetterling und so weiter. Insgesamt sind es 10 Schritte, die einen Denkraum zwischen individueller Lebensführung und dem Sturz eines politischen Systems aufmachen. Denn das ist erklärtes Ziel der Übung.

 

Karikaturen als klassische, schnelle und populäre Medien der Reaktion auf politische Ereignisse sind auch zu sehen. Da reckt einer die Faust empor, „for Motherland!“ wird sein Schlachtruf übersetzt, und dröhnt sich mit Tabletten voll. Das nächste Bild zeigt den Typen schon schlafend in sich zusammengesackt, Kopf auf der Tischplatte, eine leere Sprechblase mit Flügeln schwingt sich auf – Träume zwischen Blackout und Frieden?

 

Und dann ist da ein großes Wandstück voll Geschriebenem, ein Text in russischer Schreibschrift: Eine schwungvolle schöne Handschrift, eigentlich, nur wurden viele Wörter wieder durchgestrichen, heftig und scheinbar hastig auch. In der diskret angebrachten Übersetzung steht: "Krieg ist gleich Schmerz ist gleich Tod". Das Wort Krieg ist immer durchgetrichen. Es geht um Krieg, darum, was Krieg macht.

 

 

Im Schaufenster der Galerie hängen anonymisierte Mitschnitte von Gesprächen im Vorfeld der Ausstellung

© Detlev Schlagheck

 

Die Ausstellung „Hass. Internationale Künstler*innen gegen Krieg“ präsentiert Malerei, Fotografie, Video, Skulptur, Installation und weitere Arbeiten von insgesamt 22 Künstler*innen bzw. Künstler*innenkollektiven aus Russland, Bulgarien, China, Deutschland, Iran, Südkorea und Syrien. Parallel wird ein – laufend erweitertes – Videoprojekt gezeigt, in dem sich 70 Künstler*innen bzw. Künstler*innenkollektive aus über 25 Ländern in unterschiedlicher Weise gegen den Krieg positionieren.

 

Die Galerie pflegt eine langjährige Zusammenarbeit mit russischen Künstler*innen, eine Kooperation, die nun zusammenzubrechen droht. Die Ausstellung ist Ausdruck des Willens trotz widrigster Umstände die Kontakte und den künstlerischen Austausch zu erhalten und auszubauen.

 

Die Schau ist noch bis 30. Juni 2022 in der Künstlergalerie ONspace in Kiel-Gaarden zu sehen.

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Detlef (Dienstag, 21 Juni 2022 15:28)

    Schöner Text, der Bilder hervorruft und neugierig macht. Danke dafür.

  • #2

    Rössner (Donnerstag, 23 Juni 2022 13:26)

    Absolut gut!