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Immer wieder „ImEx“

 

Pia: Moin Iris. Was sagst Du, wenn ich sage: Es gibt nur ein Programm und das heißt: "ImEx. Impressionismus/Expressionismus"?

 

Iris: Ciao Pia! Erläutere das mal bitte näher.

 

Pia: Na ja, die Alte Nationalgalerie hat mit dieser Ausstellung, die die beiden wohl populärsten Kunststile ganz salopp zusammenführt, 2015 einen Mega-Erfolg gelandet. Auch aktuell laufen hierzulande wieder mehrere Ausstellungen zum Thema. Zum Beispiel "Es gibt nur ein Programm: Freiheit. Kirchner, Nolde, Heckel, Schmid-Rottluff" in der Kunstsammlung Jena oder "Wenzel Hablik. Expressionistische Utopien" in Berlin. Haben wir uns an Brücke, Blauem Reiter, aber auch an Monet und Max Liebermann denn nicht bald mal satt gesehen?

 

Iris: Meine Antwort darauf ist ein ganz klares: Jein.

 

Pia: Ach so?

 

 


 

Iris: Also ja, mich nervt es persönlich auch, dass diese Epochen überall fallen, vor allem, wenn sie sich innerhalb der Ausstellungen selbst genügen. Aber es waren die produktivsten Epochen der Kunstgeschichte. Endlich gab es auch viele tolle Malerinnen, die ihre Werke ganz selbstbewusst präsentiert haben und nicht mehr nur im Schatten ihrer Männer standen. Und ich denke, es gibt da noch einige Aspekte, die noch nicht beleuchtet wurden und die weitere Ausstellungen rechtfertigen würden.

 

Pia: Welche Aspekte wären das zum Beispiel?

 

Iris: Zum Beispiel gab es 2015 in der Kunsthalle Mannheim die Ausstellung "Der doppelte Kirchner". Da wurden endlich mal beide Seiten der Gemälde gezeigt. Einige andere Vertreter der Expressionisten haben ebenfalls auch die Rückseite ihrer Leinwände bemalt. Und da die klassische Hängung im Museum eine einseitige Präsentation an der Wand bevorzugt, kennen wir da noch lange nicht alles. Erinnerst du dich zum Beispiel an das Gemälde "Die weiße Feder" von Alexej Jawlensky in der Staatsgalerie? Hinten drauf ist eine vorbereitende Ölskizze, die den dargestellten Schauspieler noch zarter und femininer zeigt. Es ist wirklich schade, dass es nur kurz mal für die Ausstellung "Poesie der Farbe" beidseitig präsentiert wurde... Um das in einer ganzen Ausstellung zu thematisieren, müsste man auch eine entsprechende, bisher eher unübliche Ausstellungsarchitektur entwerfen. Spannend! Findest du nicht?

 

Pia: Natürlich erinnere ich mich. Das war so ein ganz spezielles Gefühl: Ich kam mir vor wie ein Voyeur, der den Bildern ein lange gehütetes Geheimnis abluchst. Holʼ Dir mal den Katalog der Ausstellung "Was man selten sieht. Rückseiten ins Licht gerückt", die Ende der 90er- Jahre im Kunstmuseum Basel gezeigt wurde. Ok, das mit den Rückseiten ist eine interessante Variante, und es mag sein, dass die Expressionisten besonders dazu neigten, ihre Bilder von vorne und von hinten zu bearbeiten. Aber warum springen sie uns noch immer an? Was macht sie reizvoll? In welcher Hinsicht haben sie sich überlebt, worin sind sie ganz aktuell? Also pass auf, Du gibst mir jetzt einen echten Klassiker aus der Riege der ImEx-ler und ich sage Dir auf den Kopf zu, wie er mir vorkommt …

 

Iris: Also... wieder jein. Denn natürlich ist eine Ausstellung mit Originalen nicht dasselbe wie ein Buch, das man immer wieder herausziehen kann. Das Originalkunstwerk zu sehen ist für mich immer wieder eine tolle Erfahrung, und offensichtlich auch für sehr viele Museumsbesucher, die immer wieder kommen. Tatsächlich denke ich, dass ein Museum, das eine Masse an selten gezeigten Bildern im Depot lagert, diese auch immer mal wieder zeigen muss. Im Museumsalltag bleibt leider nicht immer die Zeit für eine geniale neue Forschungsfrage ... Oft reicht schon eine neue Kontextualisierung durch eine Gegenüberstellung mit aktueller Kunst z.B. oder beim Beispiel der Rückseiten mit älteren Werken, um den Eindruck beim Betrachter zu verändern oder zu vertiefen. Aber ja, erwischt, ich habe kein gänzlich neues Ausstellungsprojekt im Ärmel, noch nicht. Und wenn doch, würde ich es hier noch nicht verraten ... ;-)

 

Pia: Also angenommen, Du hättest jetzt gesagt: Pia, was hältst Du von Kirchners "Friedrich-strasse" (1914)? Dann hätte ich gesagt: Danke, von diesem Bild halte ich eine ganze Menge. Ich würde Dir sagen, warum. Und ich würde mich fragen, inwiefern Kirchners Ansätze und Fragen bis heute aktuell sind. Klar, auch der distanziertere, vielleicht sogar rein „nostalgische“ Blick ist erlaubt: Bisschen verruchte Metropole hier, bisschen Geschichtsrepetitorium da. Aber spannend wird es doch immer da, wo die Fragen nachwirken, wo wir sie heute vielleicht anders beantworten und auch anders darstellen würden ...

 

Iris: Okay, dann sag mir, warum du von der "Friedrichstrasse" so viel hältst.

 

 

Ernst Ludwig Kirchner, Friedrichstrasse, 1914, Öl auf Leinwand, 125 x 91 cm

 

 

Pia: First of all: I love Berlin. Mit diesem Titel hat das Bild bei mir also schonmal einen Stein im Brett. Aber ernsthaft. Es ist ein tolles Bild mit Kontrasten und Überraschungen. Zweidrittel des Bildes füllen die aufgereihten Flaneure mit ihren Zylindern und den ganz gleichmäßig ausschwenkenden Beinen – das ist Zirkus, Revue, Friedrichstadtpalast ... Gesichtslos sind sie und sehr dynamisch. Der Witz ist, dass die Frauen vorne im Bild auch nicht individueller gestaltet wären. Ihre Proportionen und Gesichtszüge sind total übersteigert, unnatürlich. Prototypen. Vorne rechts drängen drei ziemlich schräge Figuren auf die dunkle Menschenkolonne ein. Sie sind zwar rosa, aber wirken alles andere als harmlos. Da sind der spitzige Winkel und dieser seltsame, wuchernde Doppelpilz, der, als wäre er ein Rammbock, in einem kopflosen Tier kulminiert, das sich so phallisch an die Frauen schleicht …

 

Also da muss man ja erstmal drauf kommen ... Ich will nicht mordsdidaktisch klingen. Aber an all dem kann man sich schon erfreuen, kann ins Bild einsteigen, ohne die Interpretationen zur Prostitution, zu Kirchners persönlicher Einsamkeit usw. zu kennen. Oder auch nur zu wissen, dass er seine Großstadterfahrungen in einer ganzen Reihe weiterer Berlin-Bilder verarbeitet hat.

 

Iris: Also doch pro Ausstellung der Kunstwerke des Expressionismus... Ich würde gerne wieder zum praktischen Aspekt deiner Frage kommen. Oft werden ja auch hauptsächlich die Gemälde ausgestellt. In diesen Epochen entstanden aber auch ganz großartige Grafiken und Plastiken, die durchaus zu selten gezeigt werden. Tatsächlich wäre ich für weniger flächendeckende Ausstellungen zu Im- und Expressionismus, bei denen es nur um Masse geht und für enger gefasste Themen.

 

Themen- und Epochenwechsel: Würdest du eine rein dekorative Ausstellung über Monets Seerosen besuchen? Oder würdest du sie boykottieren?

 

 


 

Pia: Du meinst eine Ausstellung, in der Tapeten, Beutel, Tassen und anderer Gimmick mit Monets Seerosen bedruckt sind? Da würde ich mir mein großes Portemonnaie einstecken und einfach mal hingehen.

 

Iris: Na da sind wir uns einig. Dann gehen wir in einem solchen Fall zusammen hin!

 

 

zu Kirchners "Friedrichstrasse": Das Gemälde befindet sich in der Staatsgalerie Stuttgart, die hier gezeigte Abbildung stammt von Wikipedia.

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Kommentare: 3
  • #1

    Stefan Seider (Samstag, 14 Juli 2018 14:01)

    Rückseiten !

    Es bleibt natürlich die Frage, ob und wieso die Intimität, die Privatheit des Künstlers in solchen versteckten Rückseiten von uns in einer sicher gut gemeinten Aufklärungsabsicht fast voyeuristisch ins Licht gezerrt werden ?
    Es gibt wohl immer sehr persönliche Gründe ( materielle Not ) oder Verwerfung einer Arbeit, da sie in einer Phase vom Künstler nicht zeigenswert erschien. Haben wir da das Recht, es einfach zu übergehen, zu mißachten, was er selbst nicht wollte ? Habe da immer irgendwie ein ungutes Gefühl, fühle eine gewisse Respektlosigkeit, wobei ich natürlich auch neugierig bin.
    Irgendwie erscheint es mir immer wie eine Zwangs-Sektion, eine künstlerische Untersuchung im Kernspint-Tomographen, bloß um das Innerrste zu ergründen. Aber ähnlich wie in der Medizin, wie in den Peepshows der ‚Körperwelten‘- man findet die Seele nicht.
    Auch in der Kunst bleibt das Unergründbare in der Arbeit des Künstlers, das faszinierende Element, das jedem Betrachter individuell anheim gestellt wird, das Geheimnis und die Schönheit. Dazu gehört auch der Respekt vor dem Künstler, vor seinen - umfassend gemeint - ‚Rückseiten‘

  • #2

    Iris (Samstag, 14 Juli 2018)

    Vorderseiten?

    Erst einmal Danke für Ihren Kommentar, Herr Seider. Ein interessanter Gedenke. Doch bei Ihrer Antwort stellt sich ganz konkret die Frage: Woher wollen wir denn so genau wissen, was die Künstler wollten? Gerade die Maler des Expressionismus mussten überleben und deshalb verkaufen. Möglicherweise waren einigen von ihnen die heute als "rückseitig" begriffenen Skizzen mehr wert, als die "Vorderseiten", die eventuell gefälliger und deshalb besser zu verkaufen waren? Und darf man wichtige Aspekte des künstlerischen Schaffens tatsächlich im Dunklen lassen, nur, weil sie nicht - oder vermeidlich nicht - zu Ausstellungszwecken gedacht waren. Darf man also auch keine Vorzeichnungen, Artist Proofs oder unvollendete Gemälde zeigen? Und wer bestimmt nach dem Tod des Künstlers, was er wollte, dachte und gemacht hätte, wäre er noch unter uns?

    Fragen über Fragen … Jedenfalls herzlichen Dank fürs Lesen unseres Artikels! Wenn Sie sich derart Gedanken über das Thema machen, hat sich das Schreiben des Textes ja schon gelohnt!

  • #3

    Holger (Sonntag, 09 September 2018 14:51)

    ArtTwo, welch interessante Seite, die ich erst vor wenigen Tagen entdeckte. Toll! Bin vorfreudig gespannt auf die nächsten Beiträge von Iris und Pia.

    Zu "ImEx": Ja, gerade in den großen dominieren diese Epochen oder Stilrichtungen nach wie vor (worüber ich als bekennender Expressionist mich natürlich freue). Ich denke, damit wird die Nachfrage des nach wie vor interessieten Publikums bedient, was in Ordnung ist. Zugleich sind da nach wie vor so viele spannende Theman und Fragestellungen - ich denke an die jüngste, inzwischen beendete Austellung im Berliner Brücke-Museum oder aber auch etwa, Pia, an "Nolde und das Meer" im Museum der Westküste, die heute beginnt und auf die ich mich sehr freue. Das Meer, so charakteristisch für Nolde - und doch meines Wissens die erste Ausstellung, die explizit dieses Thema beleuchtet.

    Freilich darf bei aller ImEx-Euphorie Zeitgenössisches in seiner ganzen Vielfalt nicht auf der Strecke bleiben. Aber diese Gefahr sehe ich auch nicht, weder in den großen Museen und schon gar nicht an den unzähligen kleineren Ausstellungsorten.

    Eine Frage stellt sich mir zum Schluss: Ist denn etwa der Expressionismus (auch Impressionismus und alle anderen Ismen in der Kunst) einzig eine abgeschlossene Stilepoche oder aber daneben eine Kunstauffassung, welche die engen Epochengrenzen zu sprengen vermag. Allein die Spätwerke Noldes oder auch Schmidt-Rottluffs scheinen das nach meiner Wahrnehmung zu belegen.