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EINE RUNDE TEHERAN

Daniel Kötter, HASHTI Tehran (2016, 60`, HD)

 

Pia Littmann / Robert Chatterjee

 

Den Lärm, Dreck, Staub, die Enge der Großstadt und somit das Epizentrum der Probleme, die in HASHTI Tehran besichtigt werden – all das erspart uns Daniel Kötter, der Regisseur des dokumentarischen Experimentalfilms über Irans Haupstadt. Hashti bezeichnet im traditionellen iranischen Hausbau das, was man im Deutschen ungefähr als Diele bezeichnen würde: Einen Ort, der Innen und Außen verbindet und organisiert. In diesem Sinne setzt Kötters Film an den Stadträndern der iranischen Hauptstadt an und dort bleibt er auch: Der Zuschauer wird Zeuge einer Reise vom Norden am schneebedeckten Totschāl, über den Westen mit seinem Neubau-Areal „District 22“ rund um den See der Märtyrer, hin zum Bezirk Pardis im Osten, die schließlich im Süden in Nafar Abad endet.

Auf der Seilbahn, im Schaufelbagger, auf dem Moped und im Auto, aber auch viel zu Fuß. Im Haus und drumherum und immer der Peripherie entlang. Auf geht es zu einer außergewöhnlichen Runde durch Teheran:

 

Filmstill aus: Daniel Kötter, HASHTI Tehran. Kapitel: Norden:Totschāl

 

Norden: Totschāl

Wer erwartet am Anfang eines Streifens über Teheran ein Gewirbel aus Schnee und weißen Wolken? Bestimmt nicht jeder, doch Kötter nähert sich der Stadt vom Totschal, dem schneebedeckten Berg im Elburs-Gebirge. Zu unseren Füßen ist alles weiß, oben ist alles weiß, alles um uns herum ist weiß und wer die Lautstärke richtig aufdreht, gerät ganz und gar in den Sog dieser dröhnenden Atmosphäre. In der vierten Minute erklingen erstmals menschliche Stimmen, kurz darauf beginnt auch schon das Knattern der Seilbahn. Noch beobachten wir junge Leute, die einander in ausgelassener Stimmung fotografieren. Doch die ratternden Gewinde der Seilbahn werden immer lauter und schließlich ruckeln wir selbst – erst langsam, dann immer schneller – mit ihr hinab ins Tal. Schön und erhaben, denkt sich der Betrachter dieser Bilder. Der Kenner weiß: Für die Iraner sind die Berge mythische Orte und mit Heldengeschichten aus dem Schahnameh, dem Buch der Könige und persischen Nationalepos, verbunden. Auch sind sie Sehnsuchts- und Rückzugsorte für die Teheraner aus dem Großstadtmoloch. Und fürwahr: Das Schneegestöber des Totschāl wird schnell zu Sand, Staub und Wolken, die uns in den kommenden Szenen oft den Horizont vernebeln.

 

 

Filmstill aus: Daniel Kötter, HASHTI Tehran. Kapitel: Westen: See der Märtyrer des Persischen Golfs

 

Westen: See der Märtyrer des Persischen Golfs

Das Areal rund um den See der Märtyrer oder Chitgar See sehen wir zunächst in der Totale – und reichlich Staub verhangen. Die Kamera hält auf den markanten rot-schwarzen Zaun inmitten des Wüstensandes, hinter dem sich die Betonriesen des Neubaugebiets „District 22“ auftun. Zwei große Köter tauchen auf und bewegen sich langsam durch die Zaunöffnung. Und die Kamera sucht derweil weiter das Gelände ab: zeigt umliegende Freizeit- und Erholungsorte, fixiert die schwungvolle Kurve eines halben Riesenrades und befindet sich auf einmal schon inmitten der Häuserschluchten. Das Gespräch zwischen einem Paar auf Wohnungssuche und dem Immobilienmakler hat da längst begonnen. Auf ihre Frage, ob die Anwohner sehr religiös seien, antwortet der: „All people here have satellite TV, this issue has been solved“. Na dann. Politische Implikationen wie diese gibt es gelegentlich – rein optisch könnten wir uns aber auch in einem dieser chinesischen Großraumprojekte befinden. Wohl geht es in Hashti Tehran auch um das „Orientalische“ und speziell das Iranische, dennoch wird vor allem auch die globale Dimension solch komplexer Themen wie Stadtentwicklung, Überwachung, (Stadt-)Identität spürbar.

Kaum in der Wohnung richtet sich der Blick wieder nach draußen. Ein paar Eindrücke der Innenräume gibt es schon, wenn sich die Kamera nun langsam, aber kontinuierlich in Bewegung setzt und den Blick kreisen lässt. Vor allem aber schreitet sie die Aussicht ab, gleitet über die hellbraune Jalousie hinweg, streicht die Hochhausfassenden mit ihren unendlich vielen Fenstern entlang, zeigt ungerührt den künstlichen See, den Park, die Anlagen. Nach der Inspektion diskutiert das Ehepaar unten weiter, unter anderem die schreckliche Staubigkeit. Dazu sprudelt die Wasserfontäne im See der Märtyrer, auf die die Kamera lange gerichtet bleibt. Auch die seltsam-farbenfrohen Naturmotive auf den Hauswänden bleiben nicht ungesehen. Menschen turnen auf Sportgeräten davor, ein kleiner Junge rudert eifrig auf einem Stepper, dazu tönt Werbung für ein neues 6D-Kino …

Echte Gemeinschaft findet woanders statt – vermittelt die Szene am Ende des Kapitels, die mit der Park- und Picknick-Kultur eines der wichtigsten sozialen Elemente iranischer Identität aufgreift: Im Hintergrund ruft der Muezzin, doch die Menschen versammeln sich lieber im Freien als in der Moschee. Sie haben ihr Quartier am Rand des Chitgar Parks, gegenüber den Wolkenkratzern, aufgeschlagen, grillen und plaudern miteinander. Solange bis die Sonne untergeht.

 


Filmstill aus: Daniel Kötter, HASHTI Tehran. Kapitel: Osten: Pardis

 

Osten: Pardis

Und dann sind wir in der Neubausiedlung Pardis am Ostrand von Teheran. Schwelgen in den Bildern, die uns die Kamera aus einem der Hochhäuser heraus vorführt: Aussicht, die keine rechte Aussicht ist, fragmentarische Impressionen der Wohnung Ränder im Randbezirk sozusagen –, wieder Aussicht auf all die anderen Plattenbauten mit ihren unzähligen Fenster und immer so fort. Dazu lauschen wir der Unterhaltung zweier Frauen, die sich über neugierige Nachbarn, die geplante Bahntrasse in die Hauptstadt und ein – so munkelt man – ebenfalls geplantes Märtyrergrab unterhalten. Während sich die eine noch daran erinnert, wie entspannt ihr Leben war, als niemand zählte, wie oft sie das Haus zum Gemüsekaufen verlässt – musste sie auch nicht, ihr früheres Zuhause hatte einen eigenen Garten –, sind wir schon wieder draußen.

Die Kamera hält noch verschiedene Eindrücke fest, dann knallt eine Autotür. Die Frau auf Wohnungssuche und der Makler sind wieder da: Die Fenster wären so schrecklich klein, nein sie wären schon Standard, antwortet er. Und ob es positiv zu bewerten sei, dass der Bauherr eine türkische Firma sei? Ja, antwortet er, denn sie habe einen Vertrag mit der Regierung. Doch das Misstrauen seiner potenziellen Käuferin kann er kaum beschwichtigen. Wie alle Iraner weiß auch sie, was ein Vertrag mit der Regierung in der Baubranche bedeutet: Die Revolutionsgarden haben ihre Hände im Spiel und Korruption und Missmanagement sind wohl der Grund für den zweifelhaften Zustand der Betonriesen. Derweil zirkulieren Lastwagen langsam und wie ferngesteuert zwischen den Betonriesen und wirbeln Staub auf. Die Frau will auch in Pardis eine Wohnung ansehen, uns aber nimmt die Kamera zunächst auf einen der Schaufelbagger mit und wir treckern wir durch das staubige Bauland und werden gehörig durchgeschüttelt. Aus Pardis werden wir mit Bildern einer Hochhausgruppe am Fuße des Elburs-Gebirge verabschiedet, stolz und zugleich sehr verlassen sieht das aus.

 

 

Filmstill aus: Daniel Kötter, HASHTI Tehran. Kapitel: Süden: Nafar Abad

 

Süden: Nafar Abad

Im letzten Kapitel fahren wir auf dem Rücksitz eines Mopeds durch das halbzerstörte Nafar Abad im Süden Teherans. Das nahegelegene Märtyrergrab Schah Hazrat Abdul-Azims und die sich immer weiter darum ausbreitende Wallfahrtsstätte drängt immer stärker in Stadt und vertreibt die Bewohner. Soviel mal zum Kontext. Den dunkelblauen Anorak unseres Vordermanns immer vor Augen, grüßen wir Bekannte oder Nachbarn des Fahrers, die plötzlich auftauchen, knattern immer weiter, bis wir auf einem weiten Platz zum Stillstand kommen. Ein eigentümlicher Ort ist das, an dem um einen knorrigen alten Baum mehrere Sessel und Sofas herum gruppiert sind. Die Kamera dreht sich langsam und dokumentiert das Areal, dieses Wohnzimmer unter freiem Himmel, diesen Rückzugsort in der sich leerenden Stadt, streift die Männer, Frauen und Kinder, die sich allmählich um das Feuer versammeln. Mehrfach wollten Offiziere den Platz räumen, berichtet ein Mann aus dem Off, die Treffen wurden beargwöhnt. Dass auch Frauen dabei waren, habe sie schließlich fernbleiben lassen. Und auch dies sei ein heiliger Ort, betont er, schon vor über 1000 Jahren soll der Heilige Shabdolazim hier gelebt haben. Während wir den Menschen immer näher rücken, redet er auch über Drogensucht – ein heißes Thema nicht nur hier, sondern in ganz Iran. In fünf Jahren wird sich niemand mehr an die Stadt erinnern, sagt er noch, als es schon ganz dunkel ist. Doch die Kamera hört nicht auf sich zu kreisen und zu zeigen, was noch da ist. Wieder bei Tageslicht sehen wir vor der Stadt einen Mann, der ein großes weißes Bündel trägt und langsam in die Ferne spaziert ...

 

Filmstill aus: Daniel Kötter, HASHTI Tehran. Epilog

Epilog

Und dann setzen wir uns auch selbst wieder in Bewegung, sind jetzt im Auto auf der Stadtautobahn.Unser Fahrer heftet sich an die Fersen einer weißen Dreckschleuder, auf dem noch zwei Zacken eines abgewetzten roten Sterns prangen. Das Dach ist vollgepackt mit Hausrat, ein schönes großes Holzbett befindet sich darunter. Doch dann lassen wir auch ihn ziehen, die Kamera steht nun wieder auf festem Boden. Und dann sehen wir den Wagen, wie er in entgegensetzte Richtung in die Wüste verschwindet, bis er nur noch ein winziger Punkt am Horizont ist.

 

INFO: HASHTI Tehran könnt Ihr nächstmals am 29.5. im Lichtblick Kino in Berlin oder am 7.6. im Kino im Sprengel Museum, Hannover anschauen (http://www.danielkoetter.de/upcoming).

 

 

alle hier gezeigten Filmstills: © Daniel Kötter

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Kommentare: 1
  • #1

    Jens - Uwe (Freitag, 18 Mai 2018 21:17)

    Tolle Beiträge