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Jean-Pascal Flavien: „house with things behind“

Pia Littmann

 

Tiny Houses – kleine, ja kleinste Häuser, die zwischen ca. 15 und 40 m² messen und idealerweise keinen Komfort vermissen lassen – haben Konjunktur. Und gemessen an seinem Grundriss klingt Jean-Pascal Flaviens „house with things behind“ (2018) , das er aktuell im Heidelberger Kunstverein aufgeschlagen hat (http://hdkv.de/ausstellungen/), durchaus nach Typ „Tiny“. Doch … was heißt Grundriss? Linien, die eindeutig innen von außen trennen, sucht man bei Flavien oft vergeblich und heimelig ist es hier schon gar nicht.

 

Jean-Pascal Flavien: „house with things behind“, 2018, Heidelberger Kunstverein, Photo: © Thilo Ross

 

Es ist eben ein spezielles Haus: Die Dämmstoffe und Isolierungen türmt es in der Mitte auf, das Dach lässt es offen, der Rucksack hängt zwar griffbereit neben der Tür – aber er ist fest fixiert. Keinesfalls geht es dem Künstler darum, ein unmögliches oder ganz besonders absurdes Haus zu kreieren. Phantastischen Schabernack à la Erwin Wurm (*1954), der wabernde, fließende, kopfüber in andere Dächer stürzende Häuser errichtete, gibt es bei Flavien nicht. Auch mit Kurt Schwitters (1887 – 1948) wuchernden, collageartigen Merz-Bauten hat seine Konstruktion nicht sehr viel gemein. Flavien geht es um Prinzipien der Geschlossenheit oder gar Isolation und Öffnung. Vor allem aber um das Dazwischen.

 

Das beginnt bei der Tür: Um ins Innere zu gelangen, muss man sich leicht bücken. Ich bin mit knapp 1,80 m relativ groß, aber dieses Problem hätten auch kleinere Menschen. Hinter der Fassade offenbart sich dem Besucher dann das, was man für gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommt: Bauchige Knäule Stahlwollen drängen sich zuhauf auf Schaumstoffmatten, dazwischen stehen gefüllte graue Müllsäcke. Auf den Stahlwolle-Knäulen liegen dunkelblaue, schwarze und weiße Streifen aus Wollfaser, die im Hausbau normalerweise zur Dämmung eingesetzt werden. Nützliche Wärmespeicher all über all nur nicht an der Stelle, an der man sie eigentlich braucht.


Jean-Pascal Flavien: „house with things behind“, 2018, Heidelberger Kunstverein, Photo: © Pia Littmann

 

Wo man etwas Isolation erwarten könnte, wäre indes die Schlafstätte und die gibt es hier auch: Eine schlichte Matratze, doch dafür aus Schaumstoff. Sie liegt an der Wand, allerdings an einer anderen, denn Flaviens Haus hat nur drei Seiten und macht sich hinten die Architektur des Ausstellungsraums zu eigen. Gegenüber, direkt hinter der Hausfassade, ist eine gelbe Decke aus wattiertem Outdoorstoff an der Wand fixiert. So entsteht eine kleine Nische, in die eine graue Matte gelegt ist. Ein echter Rückzugsort ist auch das nicht, immerhin hat man aber ein Dach über dem Kopf.

 

Daneben fällt die große rote Spindel in der rechten Ecke auf. Ein dicker Faden schlängelt sich durch das Fenster und verbindet drinnen und draußen – ähnlich tut es der Stuhl, der vorne zwischen die blaue Umrandung des kleinen „Vorgartens“ gestellt ist. Ist der nun drinnen oder draußen? Schwer zu sagen, denn die Dinge sind ja gerade nicht nur „behind“, wie der Titel der Arbeit verheißt, sondern auch „in front of“, das heißt vor dem Haus. So rollt sich von einer der Wände des Ausstellungsraums ein weißer, lackartiger Bodenbelag weit in den Raum hinein – eine großzügige Geste der Entfaltung und Öffnung gegenüber all den Knäueln, Säcken und Dämmungen im Haus dahinter (oder sagen wir ob des prekären Haus-Begriffs besser: ein paar Meter weiter).

 

Psychologisch wird es spätestens ein Stockwerk höher. Vom „Haus der Seele“ spricht man ja gelegentlich und in diese Richtung deutet auch, dass das Haus vom Künstler selbst zum Ausgangspunkte einer Geschichte geworden ist, die man oben – auffällig unauffällig am Ende der Galerie platziert – einsehen kann. Darin geht es um Alexis und Baku, die in diesem Haus leben, der eine davor und der andere darin. In perfect harmony?

 

Vielleicht. Auf dem weiß-glänzenden Bodenbelag, der hier oben wiederkehrt, werden zwei rote Stühle inszeniert, die unten miteinander verkeilt sind. Hier könnten sie am Ende eines langen Tages vor, in, über und jenseits ihres Hauses sitzen und sich austauschen. Das ist natürlich alles andere als Tiny. Und auch nicht so komfortabel. Felix Utting, der junge Mann, der nun ganz real einige Tage im „house with things behind“ verbracht hat, wird es genauer wissen ...

 

Jean-Pascal Flavien: „house with things behind“, 2018, Heidelberger Kunstverein, Photo: © Pia Littmann

 

Die Ausstellung  „house with things behind“ läuft vom 24.2. bis 22.4. 2018 im Kunstverein Heidelberg.

 

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